Real Estate in Europa: aktuelle Trends
Höhere Inflation, geld- und fiskalpolitische Impulse und die Wiedereröffnung der Wirtschaft sorgten im Jahr 2021 für einen starke Entwicklung bei Real Estate. Einst war der Sektor eine einfache Anlageklasse mit vorhersehbaren Renditen, nun erlebt er in den Portfolios der Anlegerinnen und Anleger eine dramatische Neupositionierung. Alternative Anlagen und neue Prämienquellen ergänzen traditionelle Produkte mit soliden Fundamentaldaten und langfristigen Trends.

Wie erschwinglich ist Wohnraum in Europa?
Abwanderung aus Städten und Immobilienpreise
In den vergangenen zwei Jahren war ein starker Trend zur Abwanderung aus Städten zu beobachten, der sich teilweise durch die steigenden Wohnkosten in den Innenstädten erklären lässt. Seit dem Jahr 2000 stiegen die Preise für Wohneigentum um durchschnittlich 3,4% pro Jahr, verglichen mit einem geringeren jährlichen Lohnwachstum von 0,4%. Anders ausgedrückt: Während sich die Eigenheimpreise verdoppelt haben, erhöhten sich die Löhne lediglich um 9%. In den letzten fünf Jahren ist der Unterschied nur noch grösser geworden. Höhere Baukosten und Hypothekarzinsen stellen eine zusätzliche Belastung für Hauskäuferinnen und -käufer dar.
Ein weiterer Grund für die Abwanderung aus den Städten sind die veränderten Arbeitsgewohnheiten nach Covid-19. Seit der Pandemie (und selbst wenn ein grösserer Anteil der Angestellten ins Büro zurückkehrt) arbeitet ein hoher Prozentsatz der europäischen Bevölkerung im Homeoffice. Der Anteil der Menschen, der von zu Hause aus arbeitet, hat sich seit der Zeit vor der Pandemie von 5% auf 12,3% mehr als verdoppelt. In Finnland, Irland und Luxemburg arbeiten sogar mehr als 20% der Bevölkerung im Homeoffice. Dadurch betrachten viele Menschen auch ihre Wohnsituation neu. Statt Wohnraum in der Nähe des Arbeitsplatzes und des öffentlichen Verkehrs sind nun grössere Häuser in weniger stark besiedelten Gebieten, in der Regel ausserhalb von Städten, gefragt. Doch die Abwanderung aus den Städten hat dazu geführt, dass die Preise in diesen Gebieten ebenfalls gestiegen sind, in einigen Vorstädten sogar stärker als in den Innenstädten. Das Ergebnis: Immer weniger Menschen können es sich leisten, ein Haus zu kaufen.
Mietwohnungen
Da Wohneigentum für einen grösseren Teil der Bevölkerung unerschwinglich ist, war der Bedarf an Mietwohnungen noch nie so gross wie heute. Vermögensverwalter machen sich diesen Bedarf ganz klar zunutze, denn die Investitionen in Mehrfamilienhäuser haben sich in Europa im Vergleich zu 2013 mehr als verdreifacht und werden 2021 insgesamt EUR 92,3 Mrd. erreichen. Der Anteil des Wohnimmobiliensektors an den Gesamtinvestitionen in europäische Immobilien lag bei 29%, verglichen mit 19% im Jahr 2019. Daran zeigt sich die wachsende Attraktivität von Wohneigentum im Vergleich zu den traditionellen Sektoren wie Büroflächen, die seit der Pandemie an Dynamik verloren haben.
Die Nachfrage nach Einfamilienhäusern in Vorstädten dürfte in der nächsten Zeit ebenfalls sehr hoch sein. Einfamilienhaussiedlungen in den Vorstädten, die zur Vermietung erbaut wurden und derzeit nur einen Bruchteil ihrer Pendants in den Städten ausmachen, zeichnen sich durch grössere Wohnflächen, eine attraktive Lage, einen leichteren Zugang zu Aussenflächen und zur Natur sowie günstigere Mieten aus. Diese Immobilien bieten Arbeitnehmenden genau das, was sie in Zeiten der Unsicherheit und unerschwinglicher Immobilienpreise brauchen. Gleichzeitig werden sie damit für Vermögensverwalter, die über hohe Mengen an Dry Powder verfügen, zu einem neuen renditestarken Produkt für Vermögensverwalter.
ESG-Aspekte im Bereich Real Estate
Im Segment der Gewerbeimmobilien wird immer mehr Wert auf Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekte (ESG-Aspekte) gelegt. So prüfen Investoren und Bauträger sorgfältig die Wahl der Materialien, das Gebäudedesign, die Energiequellen und den Energieverbrauch sowie die Betriebsmethoden. In einer kürzlich von PwC durchgeführten Umfrage gaben 81% der befragten Vermögensverwalter an, dass die Bedeutung der Energieeffizienz zunimmt. Über 70% waren der Meinung, dass die Senkung der operativen und gebundenen CO2-Emissionen ebenso wichtig ist. Eine zunehmende Anzahl an Vermögensverwaltern tendiert dazu, Gemeinschaftsflächen (einschliesslich Grünflächen), soziale Auswirkungen, Klimaanpassung und Biodiversität stärker zu gewichten. Und das aus gutem Grund: Real Estate ist einer der fünf Sektoren, die für den grössten Teil der europäischen Emissionen verantwortlich sind, wobei Gebäude 13% der gesamten Treibhausgasemissionen erzeugen.
Der Einbezug von ESG-Initiativen kann sich auch finanziell auszahlen. Aus einer kürzlich von Knight Frank durchgeführten Studie geht hervor, dass als umweltverträglich bewertete Gebäude Aufschläge von bis zu 12,3% bei der Miete und 10,5% beim Verkauf erzielen. Nachhaltigere Gebäude werden auch für Mieterinnen und Mieter immer attraktiver: Der jüngste Anstieg der Energiepreise veranlasst sie zur Suche nach energieeffizienten Gebäuden, da niedrigere Versorgungskosten eine wichtige Rolle bei der Senkung der Gesamtbetriebskosten spielen können. Zwar beginnt die Diskussion über diese «grüne» Prämie gerade erst und ermöglicht noch kein konsistentes globales Benchmarking, doch zusammenfassend lässt sich jetzt schon sagen, dass nachhaltige Gebäude mit soliden ESG-Kennzahlen langfristig Nachfrage und Liquidität fördern könnten, da immer mehr Anlegerinnen und Anleger auf Nachhaltigkeitsfaktoren achten.
Langfristige Auswirkungen der Covid-19-Pandemie
Die Pandemie hat Megatrends beschleunigt, die bereits vorher erkennbar waren, und sogar weitere hervorgebracht, die bei Anlegerinnen und Anlegern ein Interesse an zuvor weniger bekannten Real-Estate-Sektoren geweckt haben.
Das Gesundheitssegment beispielsweise nahm schon vor der Pandemie an Fahrt auf, da die alternde Bevölkerung die Nachfrage nach Seniorenwohnungen und betreutem Wohnen anheizte. Der erwartete Anstieg der Gesundheitsausgaben nach der Pandemie führt zu einer starken Nachfrage nach auf Medizin ausgerichteten Bürogebäuden, insbesondere in Nordeuropa. Anlegerinnen und Anleger sind mit dieser Anlageklasse in gewissem Masse vertraut, da sie mit ihren langfristigen Mietverträgen und beständigen Mietern dem Bürosektor ähnelt. In Südeuropa wächst der Markt für private Seniorenwohnungen für ausländische Bewohnerinnen und Bewohner. In diesem Segment sind institutionelle Anleger aber bisher noch nicht sehr stark vertreten.
Ein weiterer Sektor mit starkem Rückenwind ist die Logistik – ein Trend, der teilweise von der Covid-19-Pandemie unterstützt wird. Die hohen Konsumausgaben und die stärkere Verbreitung von Technologien führen dazu, dass neue technologiegestützte Einrichtungen benötigt werden, da der E-Commerce weiter zunimmt und die Lieferketten neu organisiert werden.
Im 1. Quartal 2022 entfielen 23% der Gesamtinvestitionen in Gewerbeimmobilien auf den Logistik- und Industriesektor (im Vergleich zu 10% im Jahr 2016). Der Onlinehandel macht bisher immer noch lediglich 11% des gesamten Detailhandelsumsatzes aus. Es besteht also noch viel Wachstumspotenzial, wobei die steigende Nachfrage und die Obsoleszenz älterer Angebote die Entwicklung in den kommenden Jahren vorantreiben werden.
Auch Rechenzentren profitieren vom expandierenden Technologiesektor. Die verstärkte Einführung von Cloud-Diensten (in einigen Fällen erzwungen durch die Pandemie) führte 2021 zu einem Wachstum der Nachfrage in den FLAP-Märkten (Frankfurt, London, Amsterdam und Paris) um 77%. Um die erwartete Nachfrage schnell zu decken, sehen sich viele Anbieter von Cloud-Diensten gezwungen, sich um Vorvermietungen zu bemühen. Die Verfügbarkeit von Grundstücken in der Nähe der Endnutzerinnen und -nutzer, besondere Anforderungen an Glasfaserkabel und Planungsbeschränkungen stehen einem neuen Angebot jedoch nach wie vor im Weg.
Zukünftige Herausforderungen
Die Welt steuert auf eine mögliche Rezession zu, und Europa bildet dabei keine Ausnahme. In der Vergangenheit wurde der Bereich Private Real Estate als wirksame Absicherung gegen die Inflation betrachtet. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass die Renditen in diesem Bereich vom Wirtschaftswachstum und nicht von der Inflation abhängen. Eine von Franklin Templeton durchgeführte Studie zeigt, dass die annualisierte Performance von Private Real Estate in einem Umfeld mit geringem Wachstum und hoher Inflation weniger als ein Drittel der in einem Umfeld mit hohem Wachstum und hoher Inflation sowie weniger als die Hälfte der in einem Szenario mit mittlerem Wachstum und hoher Inflation erzielten annualisierten Renditen beträgt. Ein starkes Wirtschaftswachstum wird häufig mit einer von der Nachfrage ausgelösten Inflation in Verbindung gebracht. Dadurch erscheint diese Inflation durchschnittlichen Anlegerinnen und Anlegern wie die treibende Kraft. Die aktuelle Situation ist aber anders mit einer kostengetriebenen Inflation, dem Risiko, dass die wirtschaftlichen Folgen des Russland-Ukraine-Kriegs den Konsum und das Wachstum beeinträchtigen, sowie steigenden Zinsen, welche die Bewertungen unter Druck setzen. Durch diese drei Faktoren ergeben sich kurz- bis mittelfristig sehr düstere Aussichten für den europäischen Real-Estate-Sektor. Anders als im vorangegangenen Jahrzehnt müssen Anlegerinnen und Anleger im Moment sorgfältig positioniert sein, um Wertpotenzial zu finden.
Fazit
Konjunkturbedingungen, ESG-Bewusstsein und pandemiebedingte Veränderungen rücken im europäischen Real-Estate-Sektor in den Vordergrund. Kurzfristige Ungleichgewichte können zwar Anlagemöglichkeiten bieten, wenn Marktverwerfungen ausgenutzt werden. Anlegerinnen und Anleger müssen jedoch Megatrends berücksichtigen, die sich in einer zunehmend unsicheren Welt als robust erweisen.
Im Rahmen der diversifizierten Anlageprogramme für den Privatmarkt von Petiole investieren wir in Real Estate, um langfristige Wachstumstrends in entwickelten Märkten zu nutzen. Als Unterzeichneter der PRI setzen wir bei unseren Anlageentscheidungen auf das Ausschluss- und Positiv-Screening als Kern unseres Ansatzes für verantwortungsbewusstes Investieren. So erzielen wir gleichzeitig beständige Renditen.
Kontaktieren Sie unser Expertenteam noch heute, um mehr darüber zu erfahren, wie privates Real Estate ein wertvoller Bestandteil Ihres Portfolios sein kann.
Literaturnachweise:
1. 2022 House View, European Property Market Outlook, W. Mcintosh, PhD, K. Martinus, J. Hildebrandt, M. Von Below, USAA Real Estate, Januar 2022
2. The Green Premium Becomes a Reality, Partners Group, Mai 2022
3. Emerging Trends in Real Estate: Road to Recovery, Europe 2022, PwC, Q1 2022
4. European Logistics Market – May 2022, BNP Paribas Real Estate, Mai 2022
5. Active Capital, Trends in Global Real Estate Investment, Knight Frank, September 2021
6. The Sustainability Series, Knight Frank, September 2021
7. How the European Union could achieve net-zero emissions at net-zero cost, Mckinsey & Company, Dezember 2020
8. Spotlight: European Multifamily, Savills, Februar 2022
9. Private Real Estate as a Hedge Against Inflation, Franklin Templeton, Dezember 2021
Ali Zeitoun ist Anlageanalyst und unterstützt Petiole Asset Management AG über deren Schwestergesellschaft The Family Office Co. Zuvor war er als Analyst bei Excelsa mit Schwerpunkt auf dem Erwerb und der Verwaltung von Real Estate in den USA tätig. Er hat einen Master in Finance der American University of Beirut.
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